Monatsinterview mit GM Nico Georgiadis: «Die Schweiz kann bei der Dichte an Schach-Talenten noch zulegen»

von Oliver Marti (Kommentare: 0)

Voller Terminplan bei GM Nico Georgiadis.

om - GM Nico Georgiadis gehört zu den jüngsten Grossmeistern der Schweizer Schachgeschichte. Der 22-jährige Student der Medienwissenschaften im Gespräch über die Karriere als Schachprofi, die Doppelbelastung aufgrund der Teilnahme an zwei direkt aufeinanderfolgenden Grossmeister-Turnieren und das Aufeinandertreffen mit Weltmeister Magnus Carlsen am Bieler Schachfestival.

Welche Personen haben Sie privat und in schachlicher Hinsicht am meisten geprägt?

Das sind einige. Sicherlich mein Vater, der von Anfang an mit mir an Turniere reiste und sehr viel Zeit dafür investierte. Schachlich gesehen Beat Züger, Francisco Vallejo Pons, Mihajlo Stojanovic und am meisten von allen Artur Jussupow, der seit Jahren ein exzellenter Schachtrainer ist und mir auch menschlich sehr viel mitgeben hat.

Wie erklären Sie einem Laien die Faszination des Schachspiels?

Jedes Partie ist anders und man hat jedes Mal etwas Neues, Einzigartiges auf dem Brett. Dies fasziniert mich persönlich am meisten.

Wie sind Sie zum Schachspiel gekommen und welche Rolle spielt Schach in Ihrem Leben?

Die Regeln lernte ich mit etwa vier Jahren von meinem Vater, der mich später dann auch in den Schachklub einwies. Mittlerweile ist Schach für mich ein reines Hobby. Auch meine zwei Profi-Jahre absolvierte ich mit dem Wissen auf das lauernde Studium. Es gibt für mich ganz klar andere Sachen neben Schach, seien es nun Beruf, Ausbildung – oder auch Fussball.

Ihre liebste Schach-Erinnerung oder -Anekdote.

Eine kuriose Situation erlebte ich an einer Junioren-WM in Griechenland. In der 1. Runde spielte ich eine sehr lange Partie gegen einen Argentinier, wo ich klar auf Verlust stand. Da beide Spieler unter Zeitnot standen, spielte ich jedoch weiter und merkte alsbald, dass ich eine dreifache Stellungswiederholung reklamieren konnte. Nun wusste der 14-jährige Nico damals nicht, wie er dies nun FIDE-gerecht reklamierte – und machte es schliesslich falsch. Die Partie lief deshalb weiter, und meinem Gegner fiel plötzlich die Zeit. Das ist aber nicht das Ende: Mein Gegner reklamierte nämlich beim Schiedsrichter, dass dieser die Zeitstrafe wegen der falschen Reklamation (plus zwei Minuten) vergessen hatte. Er erhielt also den angesprochenen Zeitbonus, stellte aber – statt mich matt zu setzen – die Partie einzügig ein. Dieses Tohuwabohu damals ist mir noch immer in bester Erinnerung.

Sie spielen sowohl die SEM als auch das anschliessende Bieler Grossmeisterturnier und arbeiteten in der Vorbereitungszeit auch noch an Ihrer Bachelor-Arbeit. Wie kriegt man das alles unter einen Hut?

In der Tat ist es für mich eine Premiere, beide Turniere im gleichen Jahr zu spielen. Die Doppelbelastung ist hier sicher ein grosses Thema und für die Vorbereitung nicht gerade optimal, aber ich versuche es trotzdem. Der Schweizer-Meister-Titel fehlt nämlich noch in meinem Palmarès, deshalb hatte die SEM klar Priorität, wobei es in diesem Jahr noch nicht gereicht hat. Es ist auch so, dass erst die Zukunft zeigen wird, ob ich aufgrund meines Einstieges in die Arbeitswelt noch viele Turniere spielen kann. Der Schweizer Nationalmannschaft bleibe ich aber für die Schacholympiade und die Team-EM vorerst erhalten.

Ein bisschen nervös ist man aber schon, wenn es in Biel dann doppelrundig gegen den Weltmeister geht?

Definitiv. Nebst der Freude auf den Wettkampf wird diese Nervosität immer höher. Ich fühle mich aber gut vorbereitet und habe gegen Magnus Carlsen auch nichts zu verlieren. Somit werde ich ohne Druck dem Weltmeister – und auch den anderen Top-Grossmeistern – gegenübersitzen können.

Viele junge, bekannte Schachspielerinnen und -spieler legen Profi-Jahre ein, um sich voll aufs Schach zu konzentrieren. Wie sinnvoll und nötig ist dies Ihrer Meinung nach?

Es ist ganz klar ein Trend, wenn man schachlich grössere Sprünge machen will. Ich war ja selber zwei Jahre lang Profi. Wenn junge, talentierte Schachspieler ihre Träume verwirklichen möchten, ist dies mittlerweile recht normal. Ein bis zwei Jahre kann man sich auch leisten, ob es dann etwas für einen ist, wird sich zeigen. Ich persönlich hatte nach eineinhalb Jahren genug vom Schachprofi-Dasein, dieser Beruf ist schlichtweg nichts für mich.

Wie würden Sie Ihren Stil am Schachbrett beschreiben?

Auch andere – wie etwa Artur Jussupow – haben Mühe, meinen Stil in Worte zu fassen. Ich bin kein Angreifer, auch nicht wirklich ein Positionsspieler und war auch nie ein Trickspieler. Als grösste Stärke bezeichne ich meinen Kampfgeist, vor allem in schlechteren Stellungen. Als Schwäche kommt mir das Zeitmanagement in den Sinn, das verbesserungswürdig ist. Gegen die Weltklasse-Spieler in Biel werde ich mir die Zeitnot nicht so erlauben können.

Eine Sache, die Sie in der (Schweizer) Schachwelt gerne ändern würden.

Etwas, das mir in den Sinn kommt, hat sich soeben geändert: nämlich, dass es jedes Jahr eine geschlossene SEM gibt. Das offene Turnier war meines Erachtens sinnlos. Was die Juniorenförderung angeht, so fällt auf, dass keine grosse Dichte an Talenten vorhanden ist. Seit IM Fabian Bänziger gibt es nur wenige einzelne Talente, da kann die Schweiz noch zulegen.

Was haben Sie zuletzt neu erlernt und wofür können Sie sich begeistern?

Generell kann ich mich für sehr vieles begeistern. Sei es nun Sport oder auch Kochen, eigentlich die ganze Palette.

Sie wirken auf andere sehr entspannt und ausgeglichen. Was bringt Sie richtig auf die Palme?

Am Schachbrett bin ich überhaupt nicht ausgeglichen oder entspannt, sondern immer sehr nervös. Aber ja, es braucht viel, bis ich mal austicke. Ich mag es zum Beispiel gar nicht, wenn ich etwas zu hundert Prozent weiss und jemand mir in dieser Sache widerspricht. Solche Rechthabereien machen mich verrückt, obwohl ich selber eher auch ein rechthaberischer Typ bin.

Welche Länder/Orte haben Sie bereist, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben und warum?

Ich bin schon sehr viel gereist in meinem Leben, vor allem in den zwei Jahren als Schachprofi. Vor drei Jahren war ich auf Kuba, was ich mir ehrlich gesagt besser vorgestellt hatte, als es war. Die Menschen dort sind mausarm, an sich sehr nett und hilfsbereit, aber halt auch verzweifelt, was sehr gut an den für sie teils überlebenswichtigen “Touristen-Tricks” spürbar ist. Auch die USA waren für mich eine einmalige Erfahrung, vor allem was Schach betrifft. Dort muss man an die Turniere sein eigenes Brett samt Figuren mitbringen und es wird nicht mit Inkrement, sondern mit «Delay» gespielt (Wenn ein Zug beginnt, fängt die Uhr nicht gleich an zu laufen, sondern erst nach der Zugbedenkzeit von beispielsweise 10 Sekunden). Die Schachwelt ist dort ganz anderes, jedenfalls in New York und Washington DC. Das meiner Meinung nach schönste von mir besuchte Land ist Neuseeland. Es ist wie die Schweiz mit Stränden und dem Meer drumrum. Neuseeland werde ich sicherlich wieder besuchen.

Welchen Traum möchten Sie sich gerne noch erfüllen?

Schachlich habe ich mir einen Traum mit dem Grossmeister-Titel erfüllt. Privat ist die Gründung einer Familie ein Traum, jedoch noch ein bisschen weit weg. Ein Job, der mir Spass bereitet und zu mir passt, ist ein weiterer Punkt. Da freue ich mich besonders auf mein bald beginnendes Praktikum beim Schweizer Radio und Fernsehen.

Welche Interviewfrage inklusive Antwort würden Sie sich gerne selber stellen?

Ich möchte noch ein paar Worte zum leider zu früh verstorbenen Mathias Knobel sagen. Er war Juniorenleiter beim Schachverein March-Höfe und ein unermüdlicher Schachförderer, der unter anderem auch Fabian Bänziger entdeckt hat. Mathias konnte seine Begeisterung fürs Schach auf mich übertragen. Einmal kam er mit einem Mandarinli mit meinem Namen drauf zu mir und sagte: «Wenn du Grossmeister wirst, kriegst du das Mandarinli von mir». Dies habe ich leider nicht zu seinen Lebzeiten geschafft, doch das getrocknete Mandarinli ist mittlerweile bei mir und eine ausgesprochen wertvolle Erinnerung an Mathias.

Ein Buch, das Sie uns ans Herz legen möchten (Es muss kein Schachbuch sein).

Ich mag die Krimis von Jussi Adler-Olsen sehr gerne und kann sie jedem weiterempfehlen.

Porträt

Geburtsdatum: 22. Januar 1996

Wohnort: Schindellegi

Beruf: Student der Medienwissenschaften, Bachelor

Titel: Grossmeister

Grösste Erfolge: U12-Schweizer-Meister 2008, U14-Schweizer-Meister 2009 und 2010, Schweizer-Schüler-Meister 2010 und 2011, Bundesmeister 2010. Mannschafts-Silbermedaille sowie individuelle Silbermedaille an der U18-Mannschaftseuropameisterschaft 2013 in Maribor.

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