Monatsinterview mit Zivadinka Milosavljevic: «Manchmal muss man weiter unten anfangen, um wieder nach oben zu gelangen»

von Oliver Marti (Kommentare: 0)

Frau mit «Drive»: Dinka Milosavljevic

om - Als der Autor das neue Klublokal des Serbischen Schachklubs Basel Sorab besuchte, lief auf der Grossleinwand gerade der Wimbledon-Final zwischen Novak Djokovic und Roger Federer. Auf die Frage hin, wer den gewinnen würde, war der Tenor eindeutig: beide! Eine Mentalität ganz nach dem Gusto von Powerfrau und Sorab-Präsidentin Zivadinka «Dinka» Milosavljevic, die in ihrem multinationalen Verein den Gemeinschaftssinn grossschreibt.

Wie sind Sie zum Schachspiel gekommen und welche Rolle spielt Schach in Ihrem Leben?

Aufgewachsen auf einem Bauernhof ohne Fernseher, lernte ich früh verschiedene Spiele kennen. Vor allem Domino hatte es mir angetan. In der Schule wurde natürlich auch Schach gespielt, nur ist bei mir der Funke damals noch nicht richtig übergesprungen. Die Liebe zum Schach hat damals mein vor sechs Jahren verstorbener Ehemann in mir erweckt. Diese Liebe ist geblieben. Dann erfolgte mein Eintritt in den Serbischen Schachklubs Sorab Basel, wo wir 2016 einen Anlass für über 70 Personen organisierten. Mein Organisationstalent schien überzeugt zu haben, denn kurz darauf wurde ich zur Präsidentin gewählt. Obwohl ich anfangs eigentlich nicht selber in einer Mannschaft spielen wollte, habe ich nun auch meinen Einstieg ins Wettkampfschach gewagt.

Wie erklären Sie einem Laien die Faszination des Schachspiels?

Schach ist anders. Auf der einen Seite ist es für dich, eine Lebensschule gewissermassen. Auf der anderen Seite steht die Gemeinschaft, der Zusammenhalt, die Familie. Es weckt Erinnerungen an früher, als man als Kind Schach erlernt hat, fördert die Klarheit im Kopf, lernt einen, «richtig da» zu sein, steigert das Selbstbewusstsein. Ich spüre, dass ich mich nach den bisherigen gespielten Wertungspartien auch im Alltag besser konzentrieren kann, meine Schaffenskraft ist gestiegen. Man gewinnt immer im Schach.

Warum gibt es so wenig schachspielende Frauen?

Es gibt wenig Förderung und es gilt als Männerspiel. Um dem entgegenzuwirken, muss Freundschaft im Klub herrschen, die Frau soll sich gleichberechtigt fühlen. Nebst dieser Etikette ist es von Vorteil, bereits Frauen im Verein zu haben, so wird der Einstieg einfacher gestaltet. Bei Sorab sind gleich zwei Frauen im Vorstand und wir haben zudem eine (fast) reine Frauenmannschaft. Und damit sind wir kein Einzelfall. Im Allgemeinen liegt das Geheimnis in hartnäckiger Werbung: Reklame, Reklame, Reklame!  

Was macht Sorab für Sie besonders?

Sorab ist ein multinationaler Verein. Nebst vielen Mitgliedern aus Ex-Jugoslawien sind auch andere Nationalitäten, natürlich auch Schweizer, vertreten. Sorab bringt die Leute zusammen, schafft eine Gemeinschaft. Mittels Schach und anderen Gemeinsamkeiten lernen viele hier auch, die Vergangenheit zu verdauen. Man hilft sich bei uns, die Solidarität und das Engagement der Mitglieder sind sehr gross. Klar hatte Sorab früher mit einem Team in der Nationalliga B einen grösseren sportlichen Erfolg. Die Reisewege aber waren lang und anstrengend, und es gab viele Forfaits, weshalb der freiwillige Abstieg in die 2. Liga letztes Jahr es uns ermöglicht, mehr Energie in die Neustrukturierung unseres Vereins zu stecken. Manchmal muss man weiter unten anfangen, um wieder nach oben zu gelangen. Mittlerweile haben wir ein schönes, neues Lokal, einen Zuwachs an Mitgliedern und das Konzept funktioniert. Weitere Punkte wie die Wiederbelebung des Juniorentrainings sowie barrierefreie Angebote für Handicapierte werden folgen. Es ist ein Ort, wo Sorab zuhause ist. Ein Rückschlag für uns war sicher das kürzliche Ableben von Miroslav Desancic, der unglaublich viel für Sorab, aber auch den Schachsport selbst getan hatte. Die Solidarität und die grosszügigen Spenden für die letzte Reise von Miroslav zeigten mir, warum Sorab so wertvoll für uns alle ist. 

Welche Schachfigur spiegelt Ihren Charakter am besten wider und weshalb?

Interessant, sich einmal geistig mit den Figuren auseinanderzusetzen. Ich wähle Springer und Läufer. Den Springer, weil er stark und auf zack ist, und den Läufer, weil bei ihm die anderen Figuren sehr wichtig sind, um ihm den Weg, die freie Diagonale, zu ebnen. 

Ihre liebste Schach-Erinnerung oder -Anekdote.

In der 3. Liga, als Wettkampfschach noch Neuland für mich war, spielte ich gegen einen Slowenen, der mich schnell und überzeugend besiegte. Zu seinen Kollegen meinte er: «Die hat keine Ahnung von Schach, muss noch viel lernen». Auf die Frage, wie lange ich denn schon spiele, kam dann schlagartig die Antwort: «Ahh, für das fünfte Mal spielst du noch gut.»    

Wir schauen 50 Jahre in die Zukunft. Wie sieht Ihres Erachtens die Schachwelt aus, was hat sich alles verändert?

Vor rund 30 Jahren, als Sorab gegründet wurde, gab es kein Internet. Man spielte zusammen und erfreute sich an den Analysen. Schach wird natürlich weiter existieren, neue Generationen werden sich aber wieder vermehrt für die Gemeinschaftskultur interessieren und diese pflegen. Das Zusammensein in der Gruppe, sich geistig miteinander auseinanderzusetzen, wird in Zukunft wichtiger sein. Schach ist schon sehr alt, ist international, einzigartig und zeigt, dass es nicht allein auf den Machtkampf am Brett, sondern auf die Gemeinschaft ankommt. Es wird noch lange die Menschen in seinen Bann ziehen.

Wenn Sie eine Person – egal, ob lebendig oder tot – treffen dürften: Wer wäre es und warum?

Meinen Mann und eben Miroslav Desancic. Mein Mann war Wissenschaftler, Ingenieur, Maler... Bei unserem ersten Treffen hat er gar Schach gespielt. Er war ein sehr weiser Mensch und hat mir viel Kraft gegeben. Er und Miroslav waren beides starke Persönlichkeiten, das hat nicht jeder Mensch. Ich spürte bei unserem letzten Treffen seine Energie. Es fühlt sich an, als ob er seine Kraft und die Aufgabe, für Sorab da zu sein, auf mich übertragen hat. Diesen beiden Männern nochmal zu begegnen, würde mir sehr viel bedeuten.

Was haben Sie zuletzt neu erlernt und wofür können Sie sich begeistern?

Geistige Arbeit, das Schreiben von und Forschen in Büchern, Spiritualität. Alles, was man will, kann man im Geist erschaffen, die Kunst ist es dann, dies zu materialisieren. Ursprünglich habe ich Organisationswissenschaft studiert, was sehr gut zu meiner Aufgabe hier bei Sorab passt. Des Weiteren beanspruchen Buchprojekte, wie eines über die Geschichte von Sorab, meine Zeit. Es ist immer schwierig, die Ressourcen einzuteilen, schliesslich gehe ich auch noch meiner Arbeit als Pflegerin nach.

Was bringt Sie richtig auf die Palme?

Eifersucht, Egoismus, falsche Ziele, Leute, die nur den eigenen Profit suchen. So etwas zieht mich runter. Wenn man mich runterzieht, katapultiere ich mich aber immer gleich doppelt so hoch wieder nach oben. 

Welche Länder/Orte haben Sie bereist, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben – und warum?

Orte, wo Krieg herrschte, vor allem Jugoslawien. Der sinnlose Krieg dort hat fast eine ganze Generation ausgelöscht. Viele dieser Orte habe ich bereist. Ich frage mich immer, warum die Masse bei Krieg nicht einfach «Nein» sagen kann. Das macht mich wütend. Jugoslawien war so ein starkes, schönes Land. 

Welchen Traum möchten Sie sich gerne noch erfüllen?

Die Bücher, die ich bereits geschrieben habe, herausgeben und den Schachklub Sorab auf allen Ebenen weiter stärken.

Welche Interviewfrage inklusive Antwort würden Sie sich gerne selber stellen?

Ich möchte noch etwas zu einem freiwilligen, aber unerlässlichen Amt sagen: Der Kapitän einer Mannschaft ist unglaublich wichtig. Er will mit seinem Team gewinnen, ist mit seiner ganzen Seele dabei. Jemand, der mitfiebert, miteifert, das Team zusammenhält und auch Verantwortung übernimmt. Nicht nur für seine Mannschaft, auch für den Verein ist ein engagierter Kapitän, der mit Herzblut dabei ist, Gold wert.

Porträt

Geburtsdatum: 25. März 1961

Wohnort: Basel

Beruf: Dipl. Pflegerin

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