Interview des Monats mit Jörg Priewasser: «Nachwuchs war beim Schachclub Brugg nicht in Sicht»

von Markus Angst

Jörg Priewasser (Co-Trainer der Jugendabteilung des Schachclubs Brugg): «Eine gepflegte Homepage ist heutzutage der Schlüssel zum Erfolg.»

ma - Der Schachclub Brugg hat eine aktive, erfolgreiche und grosse Jugendabteilung. Wie konnte sie entstehen? Jörg Priewasser, Co-Trainer der Juniorenabteilung, steht Red und Antwort.

Wie sieht Ihre Stellungsbeurteilung beim Schachclub Brugg aus?

Noch vor fünf Jahren hätte ich dem Schachclub Brugg keine gute Prognose gestellt. Der Verein hatte knapp 20 Mitglieder – die Hälfte davon Senioren. Nachwuchs war nicht in Sicht.

Hat sich das Blatt gewendet?

Mittlerweile haben wir über 70 Mitglieder, die Hälfte davon unter 20. Und auch im Altersbereich zwischen 20 und 40 kamen einige neue Mitglieder. Sportlich ging es gleichsam aufwärts. Spielten wir 2017 in der SMM noch in der 3. Liga, sind wir 2022 nur um Haaresbreite am Aufstieg in die Nationalliga B vorbeigeschrammt. In der SGM spielen wir nach unserem Abstieg aus der 2. Bundesliga in der letzten Saison aktuell in der 1. Regionalliga.

Brugg ist also ein relativ kleiner Klub, hat aber eine grosse Jugendabteilung.

Die Jugendabteilung gibt es mit Unterbrüchen schon sehr lange. Ich selbst bin ein Produkt des Brugger Jugendschachs aus den 90er-Jahren und mittlerweile seit über 30 Jahren Klubmitglied.

Gibt es einen Anfangspunkt für diese «Story»?

Die «Story» begann Ende 2020. Ich wollte mit meinem schachbegeisterten Sohn Jonas Posch (Jahrgang 2014) etwas mehr trainieren. Wie das bei vielen Themen so ist, war mir klar, dass das mit Jonas und mir alleine nicht funktionieren und nur zu ausartendem Streit führen wird. Also lud ich drei Junioren aus dem Brugger Jugendschach ein und veranstaltete am Sonntagmorgen ein kleines Jugendtraining – während der Corona-Pandemie gab es sowieso nicht viel zu tun.

Wie entwickelte sich die kleine Trainingsgruppe?

Das Interesse war auch bei anderen Junioren gross, und so wuchs die kleine Trainingsgruppe schnell auf acht Kinder. Mehr konnte und wollte ich nicht aufnehmen, da ich das Training am Sonntag bei mir zu Hause durchführte und für mehr Kinder schlicht keinen Platz hatte. Ausserdem leidet der Trainingserfolg in zu grossen Gruppen.

Gab es denn auch noch ein «reguläres» Training neben diesem Sonntagstraining?

Ja. Denn all diese Kinder kamen auch am Dienstagabend in unser Klubtraining, das zu diesem Zeitpunkt von Linus Thieme geleitet wurde. Fünf bis zehn Kinder waren jeweils anwesend.

Wie hielten Sie diese kleine Gruppe bei der Stange?

Ich begann mit den Kindern an Turnieren teilzunehmen und darüber kleine Berichte auf unserer Homepage zu schreiben. Die Kinder entwickelten einen starken Zusammenhalt und motivierten immer mehr Kinder mitzukommen – insbesondere die SJMM ist hier als teambildender Event zu erwähnen.

Was trug zusätzlich wesentlich dazu bei, dass die Juniorengruppe sich gut entwickelte?

Mundpropaganda und unsere Homepage trugen dazu bei, dass die Juniorengruppe sukzessive anwuchs. Ich bin fest davon überzeugt, dass eine gepflegte Homepage heutzutage der Schlüssel zum Erfolg ist. Wir haben ansonsten keinerlei Werbung für unseren Verein gemacht. Dabei geht es bei der Homepage nicht zwingend um Schönheit, sondern um Aktualität.

Und wie sieht die Situation rund um die Juniorenabteilung zurzeit aus?

Mittlerweile trainieren am Dienstag bis zu 35 Kinder. Neue Anfragen müssen wir ablehnen oder die Kinder auf eine Warteliste aufnehmen, die aktuell ebenfalls schon zehn Kinder umfasst. Es handelt sich hierbei aber nicht um ein reines Brugger Phänomen. Andere Aargauer Klubs in unserer Nähe wie Baden, Döttingen-Klingnau und Aarau verzeichnen einen ähnlichen Andrang.

Unglaublich. Und wie viele Leute leiten das Jugendtraining beim Schachclub Brugg?

Wir sind aktuell zu zweit, Linus Thieme und ich. Und wenn alle 35 Kinder anwesend sind, ist es schon hart an der Schmerzgrenze. Aus diesem Grund nehmen wir aktuell keine weiteren Kinder auf. Ich hoffe, dass wir in ein paar Jahren von unseren jetzigen Junioren unterstützt werden und diese unser Werk dann weiterführen.

Gibt es aufgrund der hohen Anzahl Junioren auch ein Raumproblem?

Corona war diesbezüglich ein Glücksfall für uns, da wir aus unserem kleinen Spiellokal in einem Windischer Altersheim ausziehen und uns eine neue Bleibe suchen mussten. Fündig wurden wir im Theorieraum des Sportausbildungszentrums Mülimatt in Windisch, das der Stadt Brugg gehört. Sie stellt uns den Raum kostenfrei für Trainings, SJMM, SMM und SGM zur Verfügung. Seither haben wir bezüglich des Raums keine Kapazitätsprobleme mehr. Jugendtrainer hingegen könnten wir locker noch zwei zusätzliche anstellen.

Welches Hauptziel verfolgt der Schachclub Brugg mit seiner Jugendarbeit?

Grundsätzlich ist das Ziel, möglichst vielen Kindern Spass und Freude am Schach zu vermitteln, so dass der Schachclub Brugg auch in einigen Jahrzehnten noch weiter existiert. Natürlich freuen wir uns zusätzlich über jeden Spitzenplatz, den wir an Turnieren erreichen können. Sieben Podestplätze an Schweizer Meisterschaften stehen seit 2021 zu Buche, und dieses Jahr haben wir den ersten Aargauer Meistertitel für Brugg sowohl im Einzel als auch in der Mannschaft geholt.

Ist dies das «Hard-Work»-Resultat von Ihnen und von Linus Thieme?

Das ist nicht nur Linus’ und mein Verdienst. Wir sind beide keine ausgebildeten Schachtrainer und haben uns nie detailliert damit befasst, wie man das Schachspiel jemandem beibringt. Wir achten allerdings genau darauf, wer wieviel Training benötigt und wünscht. Viele unserer Jugendlichen haben wir zusätzlich an professionelle Schachtrainer vermittelt, die mit den Jugendlichen wöchentliches Onlinetraining abhalten. Ich denke, dass das die erfolgversprechendste Kombination aus Schachklubs und professionellen Schachtrainern ist. Wir kümmern uns im Verein um die breite Masse an schachbegeisterten Kindern und vermitteln die Talente an die Profitrainer.

Wir können somit gespannt sein auf die Resultate im neuen Jahr. Kann denn bei dieser Stellungsanalyse noch etwas schief gehen?

Die grösste Gefahr ist, dass unser Jugendtrainer Linus Thieme uns irgendwann verlässt. Er ist noch mitten im Studium und wer weiss, wohin das Leben ihn danach verschlägt.

Interview: Graziano Orsi

Facts & Figures zu Jörg Priewasser

Wohnort: Birr/AG.

Alter: 39.

Beruf: Software-Architekt.

Hobbys: Schach, Computerspiele, Ski fahren.

ELO (Schweiz): 2075 (Liste 05/23).

Klub: SC Brugg.

Lieblingsschachspieler: Der Spieler, den ich seit meiner Kindheit immer bewundert und heute noch grössten Respekt vor seinen Fähigkeiten habe, ist Markus Regez. Er hat sein ganzes Leben dem Schach gewidmet und liebt es wie kein anderer.

Schach-Buchtipp: Die Endspieluniversität von Mark Dvoreckij. Sie führt einem vor Augen, dass selbst bei minimalstem Material, die Komplexität dieses Spiels gewaltig ist.

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