Die Führungsliste der Zukunft: wegweisende Entscheidungsgrundlage des SSB-Zentralvorstands für die SSB-Delegiertenversammlung vom 14. Juni

von Markus Angst

SSB-Zentralpräsident Andre Vögtlin: «Insbesondere für die jüngere Generation und die Spitzenspieler(innen) sind die FIDE-ELO heute schon wesentlich wichtiger als die nationale Wertung.»

ma - An der letzten Delegiertenversammlung des Schweizerischen Schachbundes (SSB) im Juni 2024 wurde im Rahmen eines Workshops gemeinsam mit interessierten Vereinspräsident(inn)en am Thema «Führungsliste der Zukunft» gearbeitet. Im Zentrum stand die Frage, ob der SSB inskünftig die internationale FIDE-ELO-Liste als einziges Bewertungssystem verwenden soll. In konstruktiver Atmosphäre wurden gemeinsam die Chancen und Herausforderungen einer solchen Anpassung diskutiert. Das Ergebnis war eine fundierte Pro- und Contra-Liste, die als wichtige Entscheidungsgrundlage für die weiteren Schritte diente.

Auf Basis dieser Diskussionen beauftragte die DV 2024 den Zentralvorstand, bis zur DV 2025 einen konkreten Umsetzungsvorschlag zu erarbeiten. Dieser soll aufzeigen, wie ein möglicher Übergang zur ausschliesslichen Verwendung der FIDE-ELO-Liste realisiert werden kann und welche Auswirkungen dies auf den SSB und seine Mitglieder hat.

Eine eigens dafür eingesetzte Arbeitsgruppe unter Leitung von Peter Erismann traf in den vergangenen Monaten die notwendigen Abklärungen. Die Ergebnisse dieser Analyse münden nun in einen entsprechenden Antrag des SSB-Zentralvorstandes, der an der kommenden DV vom 14. Juni vorgestellt und zur Abstimmung gebracht wird.

Um den SSB-Mitgliedern im Vorfeld eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema zu ermöglichen, stellt der Zentralvorstand hier die wichtigsten Überlegungen zu diesem Vorhaben vor.

Gemäss SSB-Zentralpräsident Andre Vögtlin «nehmen immer mehr Schweizer Schachspieler(innen) an internationalen Turnieren teil. Insbesondere für die jüngere Generation und die Spitzenspieler(innen) sind die FIDE-ELO heute schon wesentlich wichtiger als die nationale Wertung. Die Umstellung auf die FIDE-ELO ist für mich daher ein konsequenter Schritt in die Zukunft.»

Zentrale Erkenntnisse der Arbeitsgruppe: Vorteile einer möglichen Übernahme der FIDE-Wertung

Die Arbeitsgruppe beschäftigte sich eingehend mit der Frage, welche Auswirkungen eine ausschliessliche Verwendung der FIDE-Wertung für den SSB hat. Im Fokus standen dabei sowohl organisatorische als auch qualitative und strategische Aspekte.

1. Verlässlichkeit und Qualität der FIDE-Wertung: Die FIDE verbesserte ihre Services in den vergangenen Jahren kontinuierlich. Die ELO-Wertungen werden heute monatlich, zuverlässig und pünktlich publiziert. Diese Stabilität schafft Vertrauen und Planbarkeit für Spieler(innen), Organisatoren und Turnierverantwortliche.

2. Einheitliche Wertung für alle Turniere: Mit der ausschliesslichen Verwendung der FIDE-ELO-Wertung werden künftig alle relevanten Turniere im In- und Ausland automatisch erfasst und bewertet. Diskussionen darüber, welche Turniere zur nationalen Wertung zählen sollen oder nicht, werden damit entfallen. Dies führt zu einer klaren, transparenten und international vergleichbaren Bewertungsgrundlage.

3. Weniger administrativer Aufwand: Ein bedeutender Vorteil liegt in der Reduktion des Aufwands. Bisher müssen Turnierorganisatoren ihre Turniere sowohl für die nationale als auch für die FIDE-ELO-Wertung erfassen und aufbereiten. Durch die Umstellung werden Prozesse vereinfacht und weniger Ressourcen, auch in der SSB-Geschäftsstelle, für dieses Prozesse benötigt.

4. Eindeutigkeit und Transparenz: Eine einheitliche Wertungsgrundlage wird mehr Klarheit für Spieler(innen) aller Stärkeklassen schaffen – was die Vergleichbarkeit verbessert.

Heinz Vifian ist seit über 40 Jahren FIDE-Rating-Officer der Schweiz und erlebte mit, wie der technische Bereich der FIDE laufend ausgebaut wurde. «Heute bietet die FIDE einen äusserst professionellen und verlässlichen Dienst an. Ich bin überzeugt, dass diese Lösung auch für alle SSB-Mitglieder geeignet ist.»

Wie wird die ausschliessliche Verwendung der FIDE-ELO-Wertung konkret ablaufen?

Die Arbeitsgruppe hat einen Zeitplan für die Umstellung auf die FIDE-ELO-Wertung erstellt. Der Prozess sieht folgende Schritte vor.

1. Letzte Berechnung der Schweizer Führungsliste: Die nationale Schweizer Führungsliste wird per 31. Dezember 2025 ein letztes Mal berechnet. Die dabei ermittelten Zahlen werden eingefroren und können in der Übergangsphase als Referenz für einzelne Anwendungsfälle dienen.

2. Einführung der FIDE-ELO als alleinige Wertung: Ab dem 1. Januar 2026 wird für alle Spieler(innen) in der Schweiz ausschliesslich die FIDE-ELO-Wertung verwendet. Die bisherige nationale Führungszahl entfällt ab diesem Zeitpunkt als aktives Wertungssystem.

3. Übernahme der SSB-Führungslisten-Zahlen für FIDE-Spieler(innen), die per 1. Januar noch keine FIDE-ELO-Wertung besitzen: Die FIDE hat in Aussicht gestellt, dass für Spieler(innen), die per Ende 2025 noch keine FIDE-ELO-Zahl besitzen, ihre bisherige Wertzahl aus der Schweizer Führungsliste in das FIDE-System übernommen werden kann. Die dazu notwendigen Berechnungen wird die FIDE erst dann vornehmen, wenn die SSB-DV ihren Entscheid gefällt hat.

Übergangslösung: Was gilt für Spieler(innen) ohne FIDE-ELO am Stichtag?

Um Fairness und Kontinuität zu gewährleisten, wurde eine pragmatische Übergangslösung definiert.

> Für alle Spieler(innen), die per 31. Dezember 2025 eine Schweizer Führungszahl, aber noch keine FIDE-ELO-Zahl besitzen, bleibt die eingefrorene Schweizer Führungszahl für Selektions- und Qualifikationszwecke (beispielsweise für die Hauptturniere des Bundesturniers oder der SEM) weiterhin gültig.

> Diese Übergangsregelung gilt so lange, bis die betreffende Person in die FIDE-ELO-Liste aufgenommen wird.

> Der Eintritt in die FIDE-ELO-Wertung erfolgt automatisch, sobald mindestens fünf gewertete Partien gegen FIDE-gelistete Gegner gespielt worden sind.

> Da künftig alle gewerteten Turnierpartien in der Schweiz der FIDE zur ELO-Wertung angemeldet sind, wird diese Hürde rasch überwunden.

Diese strukturierte Umstellung gewährleistet einen reibungslosen Übergang, minimiert Unsicherheiten und stärkt zugleich die internationale Vergleichbarkeit der Schweizer Schachspieler(innen). Die Arbeitsgruppe ist überzeugt, dass dieser Schritt ein wichtiger Meilenstein für die weitere Professionalisierung und internationale Vernetzung des Schweizer Schachs ist.

Für WIM Gundula Heinatz, die als Nationalspielerin häufig an internationalen Turnieren teilnimmt, «ist die FIDE-ELO entscheidender als die Schweizer Wertung. Ich beobachte zudem, dass Schweizer(innen) sehr viele Turniere im Ausland spielen. Eine Übernahme der FIDE-Wertung wird auch unsere nationalen Turniere aufwerten. Ich bin überzeugt, dass das ein Gewinn für alle ist.»

Auch für Nationalspieler IM Theo Stijve steht ausser Zweifel, «dass zwei Listen die Anerkennung von im Ausland erbrachten Leistungen in der Schweiz erschweren. Eine einzige Liste würde mehr Klarheit schaffen – insbesondere für Selektionen.»

Auch René Hirzel, im SSB-Zentralvorstand Ressortleiter Nachwuchs, sieht täglich, «wie wichtig die FIDE-ELO für unsere jungen Spieler(innen) ist. Sie identifizieren sich damit – und sie sind unsere Zukunft. Ausserdem würde es vieles vereinfachen. Für die Vergabe der Swiss-Olympic-Talent-Cards könnten wir auf die gleiche ELO-Liste schauen, was eindeutig und fairer für alle wäre. Für die EM- und WM-Selektion würden internationale Turniere gewertet, was der Leistung gerechter werden würde. Deshalb bin ich überzeugt: Die Umstellung ist der richtige Schritt für den SSB.»

Was wir bei der Umstellung verlieren – und was wir gewinnen

So viele Vorteile die Umstellung auf die FIDE-ELO-Wertung auch mit sich bringt, wir verlieren damit ein traditionelles Element des Schweizer Schachsystems.

Ein zentraler Punkt ist der SSB-Code, der seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil der Identität zahlreicher Schweizer Schachspieler(innen) ist. Mit der ausschliesslichen Verwendung der FIDE-ELO-Zahl wird dieser persönliche Identifikator Geschichte.

Auch wird es zu Beginn für einige Spieler(innen) kleine Unterschiede zwischen der bisherigen nationalen Führungszahl und der neuen FIDE-ELO geben.

Zwei Stimmen aus dem SSB-Zentralvorstand

Peter Erismann, Ressortleiter Spitzensport und Leiter der Arbeitsgruppe Führungsliste, zeigt sich mit dem bisherigen Verlauf sehr zufrieden: «Die Zusammenarbeit mit der FIDE war zu jedem Zeitpunkt hochprofessionell. Die FIDE hat ein klares Interesse daran, auch die Schweizer Turnierpartien in die internationale Wertung aufzunehmen und begegnet uns stets offen und diskussionsbereit. Natürlich kann sie keine Sonderlösung exklusiv für die Schweiz schaffen, aber innerhalb des Möglichen zeigt sich die FIDE maximal flexibel.»

Auch André Vögtlin findet klare Worte: «Ich habe meine Schweizer ELO-Zahl und meinen SSB-Code in meinen vergangenen fast 50 Schachjahren zwar ins Herz geschlossen. Wenn ich meinen Kopf sprechen lasse und meine persönlichen Interessen in den Hintergrund stelle, bin ich jedoch 100-prozentig überzeugt: Wir müssen die FIDE-ELO-Wertung übernehmen, um unseren Verband weiter zu professionalisieren. In diesem Sinne hoffe ich auf eine gute und offene Diskussion an der DV vom 14. Juni – und wünsche mir im Sinne des SSB eine klare und zukunftsgerichtete Entscheidung.»

Lesen Sie zur SSB-Delegiertenversammlung vom 14. Juni im Haus des Sports auch diese Vorschau mit den anderen Geschäften.

Hier finden Sie alle Unterlagen für die SSB-DV.

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