Interview mit Kevin Richard, Cyrill Kressibucher und Rémi Collet von ChessPower: «Schach hat eine verbindende Kraft, um Beziehungen zu knüpfen»

von Markus Angst

Kevin Richard, Rémi Collet und Cyrill Kressibucher (von links): «Wir legen den Schwerpunkt eher auf populäre Turniere – zum Beispiel auf der Esplanade de la Cathédrale in Lausanne, in Bars oder an anderen öffentlichen Orten.»

ma - Ein Mittwochabend in der Bar «Le Meraki» in der Nähe der Riponne in Lausanne. Die drei Vorstandsmitglieder von ChessPower warten an einem Tisch, um ihre Initiative vorzustellen. Denn es braucht mehrere Personen, um die Identität dieser ganz besonderen Gemeinschaft zu erfassen. An diesem Abend werden rund 20 Spieler(innen) um die im ersten Stock aufgestellten Schachbretter herumlaufen.

Kevin Richard (Präsident), Cyrill Kressibucher (Vizepräsident) und Rémi Collet (Sekretär und Mannschaftscaptain) erzählen die intensive Geschichte einer Leidenschaft für das Schachspiel, die von mehr als 400 Leuten geteilt wird.

Wie hat ChessPower angefangen?

Kevin Richard: Es ist die Geschichte von vier Freunden, die sich gesagt haben: «Warum spielen wir nicht Schach, während wir etwas trinken?» So gingen wir in öffentliche Räume – möglichst in beliebte und stark frequentierte Orte. Die Leute sind im Allgemeinen ziemlich neugierig und kommen, um mit uns zu spielen. All das zog viele Menschen an, und so entstand eine Schach-WhatsApp-Gruppe in der Region Lausanne. So konnten sich Spieler(innen) noch am selben Abend spontan mit einer einfachen Nachricht treffen.

Wann wurde diese Gruppe gegründet?

Kevin Richard: 2019, kurz vor der Corona-Pandemie. Einige von uns waren Anfänger, und auch ich habe zu diesem Zeitpunkt angefangen, Schach zu spielen. Übrigens habe ich noch keine ELO-Punkte im SSB- und FIDE-Ranking.

Cyrill Kressibucher: Und trotzdem gewinnt er alle seine Spiele in der Coupe du Léman! Es besteht kein Zweifel: Seine Bewertung wird schnell steigen.

Wer sind diese Leute, die sich Ihrer WhatsApp-Gruppe angeschlossen haben?

Kevin Richard: Viele von ihnen spielten online. Die Möglichkeit, Spieler in öffentlichen Räumen zu treffen, bewog sie dazu, sich uns anzuschliessen. So stiessen Rémi Collet und Cyrill Kressibucher zu uns. Die Aktivitäten nahmen ein solches Ausmass an, dass es notwendig wurde, eine Struktur zu schaffen. Deshalb gründeten wir unseren Verein.

Cyrill Kressibucher: Rund um das Schachspiel bildete sich eine Gemeinschaft mit einem sehr breiten Spektrum. Unsere Mitglieder sind zwischen 6 und 77 Jahre alt. Ich hatte auch Freunde, die Schach spielten, und sie sind der WhatsApp-Gruppe beigetreten. Wir sehen aus Erfahrung, dass Schach eine verbindende Kraft hat, um soziale Bindungen zu knüpfen – daher unser Name ChessPower. Die meisten unserer jungen Leute spielten zuerst im Internet. Manchmal hören wir: «Das ist das erste Mal, dass ich Figuren in die Hand nehme!»

Und dann wurde aus Ihrer Bewegung ein Verein mit Statuten.

Kevin Richard: Ja, aber ChessPower bleibt eine Gemeinschaft von Enthusiasten, mit Spielern – oft aus verschiedenen Vereinen – und einfachen Amateuren. Etwa 95 Prozent unserer Teilnehmer(innen) sind Menschen, die uns auf der Strasse oder an öffentlichen Orten spielen gesehen haben.

Und wie viele sind das in Zahlen?

Rémi Collet: Die ChessPower-Community umfasst mehr als 400 Personen, von denen rund 100 Mitglieder des Vereins sind. Etwa 20 von ihnen hatten Lust auf lange Partien in Teams und wurden beim Schweizerischen Schachbund angemeldet. Denn diese Art von Wettkampf ist nur ein Aspekt von ChessPower. Wir legen den Schwerpunkt eher auf populäre Turniere – zum Beispiel auf der Esplanade de la Cathédrale in Lausanne, in Bars oder an anderen öffentlichen Orten. Wir sind auch bei Veranstaltungen präsent – zum Beispiel im Musée du Jeu in La Tour-de-Peilz bei der Museumsnacht. Jedes Mal gewinnen wir neue Mitglieder.

Cyrill Kressibucher: Unsere Struktur ist sehr flexibel. Wir versuchen, den Bedürfnissen unserer Gemeinschaft bestmöglich gerecht zu werden und Spieler(innen) zusammenzubringen. Der Vorstand überwacht die Aktivitäten, aber alle Initiativen zur Verbreitung des Schachspiels sind willkommen. Wir erheben keine Mitgliedsbeiträge. Die Aufträge, die wir erfüllen, bringen uns etwas ein. Und manchmal erhalten wir auch Spenden.

Reagieren auch Frauen, die in den Schachklubs in der Regel in der Minderheit sind, auf Ihre Initiative?

Kevin Richard: Bei unseren Veranstaltungen sind mehrere anwesend, aber nur wenige engagieren sich dauerhaft. Eines unserer Ziele ist es, mehr Frauen für unsere Aktivitäten zu gewinnen.

Sie sind vor allem im öffentlichen Raum präsent. Aber wir können uns vorstellen, dass Sie auch einen festen Ort für Mannschaftswettbewerbe haben.

Rémi Collet: Ja, wir haben einen Raum in Renens, aber nur für die Coupe du Léman und ab diesem Jahr für unsere drei Teams, die wir für die Schweizerische Mannschaftsmeisterschaft angemeldet haben. Wir starteten 2023/24 mit der Coupe du Léman. Einige wussten nicht, wie man eine Partie notiert. Wir mussten es ihnen vor Ort erklären. Aber das hinderte sie nicht daran, zu gewinnen! Unsere Mannschaften zeichneten sich alle in ihrer Kategorie aus. Sogar die Mannschaft, die nur aus Neulingen bestand, wurde Zweite in ihrer Gruppe!

Und wann haben Sie beschlossen, an der Schweizerischen Mannschaftsmeisterschaft teilzunehmen?

Rémi Collet: 2022 wollten einige unserer Mitglieder an der SMM teilnehmen. Sie wurden in Mannschaften von La Garde du Roi integriert. Dann äusserten sie den Wunsch, mit ChessPower zu spielen. Wir haben dann beschlossen, für die Saison 2025 drei Mannschaften anzumelden: eine in der 3. Liga und zwei in der 4. Liga. Sie werden zum Spass spielen, aber sicherlich die Mittel haben, um um den Aufstieg zu kämpfen. Aber wir sind nicht wählerisch. Jeder, der den Teamwettbewerb ausprobieren möchte, kann das tun.

ChessPower wurde kurz vor der Corona-Pandemie ins Leben gerufen. Bremste das Ihren Schwung?

Kevin Richard: Nein, aber es zwang uns, im Freien zu spielen – Sommer wie Winter! Das passt perfekt zu unserer Identität. Und nach der Pandemie verspürten die Leute das Bedürfnis, sich am Schachbrett zu treffen. Von diesem Moment an entwickelten sich die Turniere, und wir organisieren zwei oder drei pro Jahr in Lausanne. Jedes Mal gewinnt ein anderer Spieler, der uns oft unbekannt ist, einen Pokal, der als «Goldener Springer» bezeichnet wird ins Spiel kommt. Jede(r) spielt ohne Druck und ohne Angst, ELO-Punkte zu verlieren. Wir organisieren auch Simultan-Schachpartien, die Aufmerksamkeit erregen und sehr erfolgreich sind – insbesondere mit FM Aurelio Colmenares.

Welchen Platz nimmt ChessPower in der Waadtländer Schachlandschaft ein?

Cyrill Kressibucher: Es hätte keinen Sinn gemacht, einen traditionellen Schachclub zu gründen. In der Region Lausanne gibt es bereits viele davon. Wir haben also etwas anderes ins Leben gerufen, das nicht mit den Vereinen konkurriert und dessen einziges Ziel es ist, das Schachspiel populär zu machen. Viele Touristen, die an der Kathedrale vorbeikommen, kommen spontan zum Spielen. Manchmal werden wir von Fremden regelrecht vernichtet!

Interview: Bernard Bovigny/Übersetzung: Markus Angst

Kevin Richard persönlich

Alter: 39 Jahre.

Beruf: Selbstständiger Künstler.

Schachklub: ChessPower.

ELO: noch keine.

Lieblingsschachspieler: Mikhail Tal.

Ein Schachbuch: «Play Winning Chess» (Yasser Seirawan).

Rémi Collet persönlich

Alter: 35 Jahre.

Beruf: Student für Sportmanagement an der AISTS.

Schachklub: ChessPower.

ELO: 1663.

Lieblingsschachspieler: Garry Kasparov.

Ein Schachbuch: «Der König, die Königin und die Reiche» (Daniel Johnson).

Cyrill Kressibucher persönlich

Alter: 35 Jahre.

Beruf: Kaufmann.

Schachklub: ChessPower.

ELO: noch keine.

Lieblingsschachspieler: Mikhail Tal/Richard Rapport.

Ein Schachbuch: «Schachnovelle».

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